In den vergangenen Monaten wurde in der Consultant Career Lounge an verschiedenen Stellen über neuartige Online-Geschäftsmodelle im Unternehmensberatungssegment diskutiert. Die zentrale Idee dieser digitalen Marktplätze ist es, Beratern mehr Transparenz über hochwertige Freelance-Positionen zu schaffen und gleichzeitig den beauftragenden Firmen günstige Alternativen zum klassischen Beratungsansatz zu bieten. Ist dieses Thema nur ein kurzfristiger Hype, ohnehin nur relevant für eine kleine Zahl an Freelancern im Markt? Oder haben diese Modelle das Potenzial, erfahrene Berater aus der Festanstellung in die freiberufliche Tätigkeit zu locken? Wie solche Online-Freelance-Netzwerke gleichzeitig auch noch ein Teamgefühl aufkommen lassen können, erklärt Frank Braun, Gründer und Geschäftsführer des Freelance-Start-ups NEWCOVENTURE [Anmerkung CCL, 12.10.2017: Das Unternehmen hat seine Aktivitäten in der Zwischenzeit eingestellt], im Interview mit der Consultant Career Lounge.

Herr Braun, disruptive Technologien sind derzeit in aller Munde. Sie haben mit NEWCOVENTURE ein Unternehmen gegründet, das Technologien dazu nutzen möchte, den Beratungsmarkt zu revolutionieren. Wie soll dies geschehen?
Beratung ist people business. Menschen sind in der Unternehmensberatung zentral. Technologien sind dazu da, den Menschen zu helfen. Hier gibt es bei klassischen Unternehmensberatungen ein erhebliches Defizit – von der kleinen Beratung bis hin zum globalen Beratungskonzern. Nehmen Sie zum Beispiel das Staffing von Projekten. Bei Unternehmensberatungen von mehr als 100 Beratern haben die wenigsten noch den Überblick über die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter. Oder betrachten Sie die systematische Erfassung der Kundenzufriedenheit und der Klientenwünsche einer Beratung. In beiden Fällen navigieren Beratungen hier heute auf Sicht. Digitale Technologien verbessern die Beratungsqualität erheblich, weshalb wir vor einer digitalen Revolution im Consulting stehen.
Ist der angestammte Beratungsansatz mit Festanstellung, Firmen-Offices und Staffing-Prozedur für Sie ein Auslaufmodell?
Virtuelle Beratungsnetzwerke wie die NEWCOVENTURE werden in Zukunft ein ernsthafter Wettbewerber für klassische Unternehmensberatungen, zumindest so wie wir sie sehen – digital, partizipativ und mit Exzellenz-Anspruch. Mit Hilfe digitaler Technologie schafft die NEWCOVENTURE ein Beratungs-Ökosystem, das den klassischen Unternehmensberatungen ebenbürtig oder sogar überlegen ist. Klassische Partnerstrukturen sind eben nicht gut in den Corporate Functions. Außerdem wollen gerade die guten jungen Berater keine hierarchischen Organisationen, sondern mehr Freiheit, mehr Zusammenarbeit und Flexibilität, um sich zu entfalten. Wir haben uns nicht umsonst NEWCOVENTURE genannt, weil wir die Art der Zusammenarbeit neu und kooperativ definieren. Neben der Technologie ist die partizipative Unternehmenskultur ein Differentiator zu den klassischen Beratungen.
Die klassische Beratung mit ihren Beraterpyramiden wird auch in Zukunft ihre Daseinsberechtigung haben – vor allem bei Großprojekten benötigt man straffe Organisation und Sicherheit, eben die klassischen Stärken der hierarchischen Beratungskonzerne. Aber die Fertigungstiefe wird abnehmen. Die Beratungen brauchen nicht mehr alle Experten, sondern nehmen diese je nach Projekt hinzu. Zum Beispiel bei der NEWCOVENTURE.
In den vergangenen Monaten wurden in Deutschland verschiedene Online-Marktplätze für Freelance-Berater gegründet. Wie unterscheidet sich NEWCOVENTURE von diesen Modellen?
Weil wir keine Händler oder Body-Leaser sind und unseren Marktplatz als ein erstes von vielen Service-Angeboten für unsere Berater sehen. Obwohl unser Berater-Marktplatz kostenfrei ist, ist er deutlich besser als bestehende Portale. Denn er bietet mehr Transparenz und durch externe Bewertungen nachgewiesene Qualität. Außerdem gibt es sinnvolle Features, die das Beraterleben einfacher machen, wie den CV Generator. Sukzessive wird die NEWCOVENTURE Beratern ein komplettes Beratungs-Ökosystem bieten. Unser Ziel ist es, dass sich der Consultant ganz auf sein Kerngeschäft, auf seine Klienten, Projekte und Kompetenzerweiterung konzentrieren kann.

Welche Branchen- oder Themensegmente werden Sie künftig abdecken?
Wir drei Gründer haben unseren Schwerpunkt im Thema Strategie, Supply Chain & Operations. Daher wird die NEWCOVENTURE hier am Anfang einen gewissen Schwerpunkt haben. Allerdings ist das Geschäftsmodell nicht auf Spezialisierung angelegt und skalierbar.
Wie kann ich als Berater, der an Ihrem digitalen Beratungshaus interessiert ist, sicher sein, dass ich immer auf relevante und spannende Projekte von Ihnen gestafft werde?
Wir realisieren zwar auch Projekte, sehen uns aber in erster Linie als Anbieter eines Ökosystems für Berater. Wir sind eine Mitmach-Beratung, das heißt dass in erster Linie unsere Partner und Klienten Projekte staffen. Für Berater gibt es zwei Rollen-Modelle: Entweder bin ich Berater, dann werde ich gestafft oder als Interim-Manager beauftragt. Oder ich bin Projektleiter, dann staffe ich mein Projekt mit Beratern und kann Klienten Projektgeschäft anbieten.
Und wie kann in einer virtuellen Struktur ein Teamgefühl, eine Art Unternehmenskultur aufkommen?
Rein virtuell ist das schwer. In unserer Philosophie soll Technologie Menschen wie gesagt auch nur unterstützen. Der Mensch steht bei uns im Fokus. Wir haben hier schon Pläne für NEWCOFFICES und NEWCONFERENCES. Aber erst einmal müssen wir die Grundlagen schaffen, ausreichend Berater und Klienten begeistern, bevor wir legendäre NEWCOVENTURE Events realisieren.
Warum ist es cool, bei NEWCOVENTURE zu arbeiten?
Immer wenn ich mit Menschen über die Idee spreche, sehe ich, dass ein Funken überspringt, ob das bei einem Entscheider in einem Konzern oder ein erfahrener Berater ist. Der Idealismus, eine neue Form der Unternehmensberatung mit einem neuen Spirit zu schaffen und das mit neuen Technologien zu erreichen, fasziniert. Und dann sind zumindest meine beiden Mitgründer sehr unterschiedlich und sehr cool. Wenn so eine Idee drei verschiedene Typen vereint, hat sie Kraft.
Sie sprechen von der „neuen Generation der Unternehmensberatung“ – nehmen Sie auch Bezug zu neuen Generationen an einzelnen Beratern? Denken Sie, dass die Beratergenerationen Y, Z und folgende offener für ein virtuelles Beratungsmodell sein werden?
Wir orientieren uns hier an den Sinus-Milieu der modernen Performer und der expeditiven digitalen Avantgarde. Der neueste Consulting-Monitor von Odgers Berndtson belegt ebenfalls den Wunsch der erfahrenen Berater nach mehr Flexibilität und Gestaltungsspielraum. Warum kann ich nicht den Job in meinem Ferienhaus in Italien machen? Warum kann ich nicht lieber abends arbeiten als mittags? Warum muss ich irgendwohin fahren, wenn ich die Besprechung per Skype besser machen kann? Warum soll ich das Projekt verantworten, wenn ein Junior in dem Thema mehr Kompetenz hat? Warum definiert man Status über die Kategorie des Firmenwagens und der Quadratmeterzahl des Büros? Das sind Fragen, die auch in der Generation X gestellt werden, aber eine neue Generation an Unternehmensberatung bedürfen, um sie zu beantworten.
Werden Sie bald eine internationale Beratung sein? Was ist im Hinblick auf die internationale Expansion geplant?
Die Idee der NEWCOVENTURE ist zwingend international. Wir erwarten sogar eine höhere Akzeptanz in den angelsächsischen Ländern als in den deutschsprachigen. Der Aufwand für die internationale Expansion ist eher überschaubar. Unsere App ist bereits englischsprachig.
Aus Ihrer langjährigen Erfahrung im Beratungsumfeld: Was möchten Sie Consultants mit auf den Karriereweg geben, was sollten sie beachten?
Schon Junior-Consultants sollten einen strategischen Plan haben und früh anfangen eine eigene Personen-Marke aufzubauen. Wofür stehe ich, was sind meine Stärken, was ist meine Vision? Wie jede Strategie muss ich den Plan gegebenenfalls an die Marktanforderungen anpassen. Zu einer erfolgreichen Beratermarke gehört aber immer Zuverlässigkeit und Integrität.
Zur Person
Frank Braun hat sich nach Stationen in der Marketing- und Unternehmenskommunikation von MLP Finanzdienstleistungen und beim Dämmstoff-Hersteller Saint-Gobain Isover auf das Marketing von Beratungsunternehmen spezialisiert. Unter anderem war er Marketingleiter der axentiv AG, der J&M Management Consulting AG und von goetzpartners. Sein Interesse gilt insbesondere dem Marken-Management, dem Einsatz moderner Web-2.0-Technologien in der B2B-Kommunikation sowie den Positionierungsstrategien von Professional Service Firms und deren Umsetzung in die Praxis.