Superman ist immer im Dienst – warum Berater hohe Arbeitsintensität vorgaukeln

Mehr als 40 Stunden Arbeit in der Woche gehören für Unternehmensberater zum Alltag, “nine to five” klingt für viele Consultants eher wie eine Drohung als nach einem erstrebenswerten Idealbild. Ebenso hört man häufig von 80, 90 oder gar mehr als 100 Wochenstunden – häufig zählen diese Aussagen jedoch zur Kategorie der Märchen und Legenden. Aber aus welchem Grund sollte man bei diesem Thema eher mehr Stunden draufschlagen als zu sagen, dass man effizient und ebenso erfolgreich mit einer 55-Stunden-Woche auskommt? Handelt es sich um sozial erwünschtes Verhalten in einer Hochleistungsindustrie, die das Motto “höher, schneller, weiter” verfolgt?

Eine hoch interessante Studie, die im Harvard Business Review vorgestellt wurde, hat sich mit dem Thema befasst: Warum behaupten einige männliche Berater, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, obwohl dies nicht der Realität entspricht? Erin Reid, Assistant Professor an der Questrom School of Business der Universität Boston, konnte für Ihre Studie Interviews mit 100 Beratern einer internationalen Top-Strategieberatung führen, Einblick in Beurteilungsbögen und interne Personaldokumente nehmen. In der untersuchten Beratungsgesellschaft herrschte tatsächlich das Idealbild vor, dass Mitarbeiter ein sehr hohes Maß an zeitlicher Flexibilität und volle Hingebung für den Job einzubringen haben, um erfolgreich zu sein.

Viele der Berater gingen mit der Erwartung ihres Arbeitgebers nach hohem zeitlichen Einsatz und voller Reiseflexibilität voll konform und haben dieses Bild offiziell nach außen hin selbst vertreten – auch wenn sie im Grunde ihres Herzens sehr unzufrieden mit diesen Faktoren waren. Viele der Berater fühlten sich “overworked and underfamilied”.

Männer spielen das Spiel, Frauen sind ehrlich und verlieren

Die Kernaussage der Studie ist jedoch folgende: Obwohl Berater und Beraterinnen gleichermaßen unzufrieden mit dem “always on”-Anspruch ihres Arbeitgebers waren, gingen die männlichen Berater anders als Frauen damit um. Frauen, die mit der hohen Arbeitsbelastung Schwierigkeiten hatten, gaben dem Arbeitgeber entsprechende Signale, reduzierten ihre Arbeitszeit und entsprachen somit de facto nicht dem unternehmensweiten Idealbild. Sie stellten sich selbst ins Abseits.

Männer hingegen spielten letztlich das Spiel mit, gaben vor, eine unerschütterliche Konstitution und ein unlimitiertes Energiepotenzial zu besitzen, und kreierten von sich selbst das Bild des hart arbeitenden Vorzeigeberaters. Wie sie dies schafften? Ein Partner berichtete davon, dass in seiner Practice ein gemeinsames Agreement herrsche, wonach man effizient und nur so viel arbeitet wie notwendig ist, um den Kunden glücklich zu machen. Weil das Team eines der erfolgreichsten der Firma sei, wüsste der Großteil der anderen Partner gar nicht, dass dort Work-Life-Balance so groß geschrieben sei.

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Viele Reisen, lange Arbeitszeiten, always on?

Ein anderer Interviewpartner berichtete davon, dass er zwar ständig zu erreichen sei und eine sehr hohe Flexibilität anbiete, was reisen betrifft. Gleichzeitig nutzte er das von ihm existierende Bild des Energiebündels und “Hans Dampf in allen Gassen”, um sich selbst sehr viele Freiräume zu nehmen, beispielsweise für Zeit mit seinem kleinen Sohn.

Neben diesen Beispielen weist Studienautorin Reid zugleich auf Fälle hin, die eines bestätigen: Derjenige Berater, der dem Idealbild entspricht, hat eine bessere Karriereentwicklung als jener, der dem Verlangen nach maximaler Flexibilität Grenzen setzt.

Mit dem Blick in die Zukunft ist sicherlich fraglich, ob sich diese Erkenntnisse fortschreiben lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich Beratungsgesellschaften bewusst dazu entscheiden werden, auch flexiblere Arbeitsmodelle anzubieten und dies ehrlich in die Unternehmenskultur einzupflanzen. Manche Firma wird dies authentischer und umfassender umsetzen als andere. Mit dem Wandel der Wertvorstellungen und den Erwartungshaltungen jüngerer Generationen wird jedoch kein Weg an diesem Thema vorbeigehen. Studienergebnisse werden dies – hoffentlich – zeitnah belegen.

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