Gefangen in der Umklammerung der Consultants? – Interview mit dem Autor des Buchs „Die Berater-Republik“

DANIEL NERLICH: Lieber Herr Deelmann, Sie selbst waren Mitarbeiter einer Unternehmensberatung, forschen heute als Professor rund um das Consulting und haben soeben Ihr Buch „Die Berater-Republik“ veröffentlicht. Sie beschreiben dort die enge, gefährliche Verflechtung von Consulting und Staat. Wie schlimm ist es?

PROF. DR. THOMAS DEELMANN: Das ist natürlich immer relativ – schlimmer geht es immer. Man sollte sich allerdings vor Augen führen, dass pro Tag an die 20.000 Beraterinnen und Berater für den Staat arbeiten. Das ist eine riesige Zahl. Zwar ist dies per se noch nicht schlimm, diese Zahl kann in der Zukunft sogar nochmals steigen. Aber beide Seiten müssen aufpassen: Die eine Seite, dass sie ihre Kunden nicht überfordert, und die andere, dass keine Abhängigkeiten entstehen.

Prof. Dr. Thomas Deelmann © privat

Können Sie bitte genauer beschreiben, worin aus Ihrer Sicht die größten Gefahren bestehen?

Ich möchte drei Gefahren herausstellen: Zum einen die Abhängigkeit, dann die Verschiedenheit der Zielsysteme und zuletzt die Gefahr einer fehlenden Steuerungsexpertise.

Zur angesprochenen Abhängigkeit: Wenn ich als Auftraggeber auf Berater zurückgreife, kann ich ja Spaß daran bekommen. Kunden denken, es habe ihnen wirklich etwas gebracht, und sie beginnen, die erbrachte Leistung der Berater zu überhöhen.

„Aus dem Rat-Suchen wird eine Rat-Sucht.“

Prof. Thomas Deelmann

Außerdem verfolgt der öffentliche Sektor das absolut abstrakt definierte Zielbild der Gemeinwohlorientierung. Bürgerinnen und Bürger sollen Strom und Wasser beziehen, das Abwasser soll abgeführt werden, man soll Zugang zu einem öffentlichen Personennahverkehr haben. Das ist natürlich ein anderes Zielsystem als jenes der Berater, die gewinnorientiert arbeiten.

Schließlich findet sich auf Kundenseite zu wenig Steuerungsexpertise. Vielen ist gar nicht bewusst, was die Beraterinnen und Berater eigentlich tagtäglich machen und wie sie es machen. Auf der einen Seite sind also die Berater – „die Profis“. Auf der anderen Seite die Kunden – „die Amateure“. Wenn die Berater nach erbrachter Leistung wieder gegangen sind, wird kaum evaluiert, was genau geschehen ist. Die Evaluation von Beratungsleistungen ist tatsächlich auch ein dickes Brett, aber leider wird nur selten zu verstehen versucht, wofür das Geld ausgegeben wurde und was für ein Resultat damit erzielt werden konnte. Das finde ich erschreckend.

Gewinnorientierung muss ja per se nichts Schlechtes sein. Wenn man sich aber allgemein die Reputation des Berufsstandes in der breiten Öffentlichkeit anschaut, scheint es um Unternehmensberatung nicht allzu positiv bestellt zu sein: An den Stammtischen oder in Online-Foren wird gerne von „Blutsaugern“ und „Stellenstreichern“ gesprochen, in der Literatur finden sich zahlreiche kritische Abhandlungen zum Agieren der Beraterinnen und Berater – zum Beispiel das „Schwarzbuch McKinsey“. Macht man es sich nicht zu leicht, wenn man Consultants als Sündenbock stilisiert?

Da macht man es sich definitiv zu einfach, da bin ich bei Ihnen. Auf der einen Seite werden Beraterinnen und Berater gerne mit all den negativen Attributen belegt. Da wird dann gerne die Klischee-Schublade ganz weit aufgemacht. Auf der anderen Seite steht Consulting in den Rankings der Berufe, die attraktiv für Hochschulabsolvierende sind, immer noch relativ weit oben. Und der der ultimative Beliebtheitsindikator: Die Kunden kaufen es.

Klischee eines Beraters – Christoph Waltz als „The Consultant“ © Netflix

Dass Beratung gerne als Sündenbock herhalten muss, liegt vielleicht daran, dass rund um Consulting eine Art traditionelle Folklore existiert – ein reflexhaftes: „Nein, das geht nicht, wie die auftreten und was die da machen!“. Wenn wir einen Blick in die Empirie werfen, zeigt sich aber: Je näher Menschen an den Beraterinnen und Beratern dran sind, desto eher verstehen sie die Consulting-Welt und umso besser ist es um die Reputation bestellt.

Klar, negative Effekte von Consulting, wie zum Beispiel Stellenstreichungen, bleiben stark im Kopf verankert. Aber neben Effizienzsteigerungen initiieren Beratungen in mindestens gleichem Maße auch Wachstums- und Innovationsinitiativen oder tragen zur Verbesserung der Arbeitswelt bei. Besonders kritisch ist es, wenn mit verkürztem Blick eine Verkettung vorgenommen wird: Beratung X war im Haus, fünf Jahre später passiert etwas und der Beratung wird ursächlich die Schuld dafür zugeschrieben. Eine solche kausale Verbindung ist in 99 Prozent der Fälle schlichtweg unseriös.

Sie selbst beschreiben auch die positiven Aspekte, weshalb Consulting eine wichtige Funktion einnimmt. Es drängt sich die Frage auf: Ist das System Consulting mit Gefahren verbunden oder nur das individuelle Handeln einzelner Akteure im Consulting?

Nun, auf der einen Seite ist es das „System Consulting“, auf der anderen gibt es aber auch noch das „System Kunde“ und beide Systeme spielen zusammen. Wenn sich beide einig sind mit dem, was sie tun, muss zwar noch lange nicht immer das Richtige herauskommen, aber es ist zumindest abgestimmt. Schwierig wird es immer dann, wenn eine Asymmetrie der Erwartungen oder der Professionalität vorliegt. Dann treten Konflikte auf.

Mir geht es mit meinem Buch weder darum, Berater-Bashing zu betreiben, noch Jubel-Arien auf die Consulting-Industrie zu singen. De facto sind die Auftraggeber diejenigen, die professionell Geld ausgeben und professionelle Dienstleister steuern sollten. Consulting ist ja aus Sicht der Einkäufer eine C-Warengruppe, die einfach immer da ist, geringes Volumen aufweist und die man einfach laufen lassen könnte. Der eine oder andere Einkäufer kommt aber immer mehr zur Einsicht, dass diese kleine Warengruppe strategisch betrachtet werden sollte. Bereits kleine Beratungsaufträge können eine große Auswirkung haben.

Das System Consulting ist also per se nicht gefährlich oder ungefährlich. Und im Übrigen: Die Anzahl der schwarzen Schafe ist in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen.

Passen die Begrifflichkeiten „Moral“ und „Consulting“ aus Ihrer Sicht überhaupt zusammen?

Ich bin kein Philosoph und tue mich daher mit solchen Bewertungen eher schwer. Aber ich finde begriffliche Gegensatzpaare äußerst spannend. Der Soziologe Niklas Luhmann hat in diesem Zusammenhang von sozialen Codes gesprochen: Unterschiedliche soziale Gruppen verfügen über jeweils andere Denkmuster. Juristen und Juristinnen unterscheiden zwischen „Recht“ und „Unrecht“. Ärzte und Ärztinnen unterscheiden zwischen „gesund“ und „krank“. Berater und Beraterinnen unterscheiden zwischen „nützlich“ und „nicht nützlich“. Wenn etwas nützlich für den Kunden ist, dann mache ich das; wenn nicht, dann eben nicht. Der klischeehafte Beamte und die klischeehafte Beamtin unterscheiden zwischen „vorschriftsmäßig“ und „nicht vorschriftsmäßig“.

Wenn ich weiß, dass die Denkansätze unterschiedlich sind, dann habe ich eine Erklärung dafür, weshalb es zu Friktionen kommen kann.

Denken Sie nicht, dass der Dualismus, den Sie gerade aufgezeigt haben – „nützlich“ und „nicht nützlich“ – von Unternehmensberatungen zunehmend moralisierend aufgeladen wird? Wird nicht der Moral-Begriff zum Beispiel im Kontext von Nachhaltigkeit und Weltverbesserung bewusst von Beratungen ins Spiel gebracht? Das nennt sich dann Purpose und stärkt das Employer Branding…

Ja, ich sehe das und lese davon. Ich frage mich nur, ob ein über-moralisierender Ansatz wirklich von Beratungshäusern verfolgt werden sollte. Letztlich stellt sich nämlich die Frage: Kommt ein solcher Purpose-Begriff nur auf einer PowerPoint-Folie vor oder spielt er in der Realität eine konkrete Rolle? Mitarbeitende können sehr schnell zu der Erkenntnis kommen, dass ihr Arbeitgeber solche Themen proklamiert, in der Realität aber nicht spürbar anpackt. Da kann schnell das Gefühl aufkommen, dass Purpose- oder Moral-Begriffe nur zur Mitarbeitergewinnung genutzt werden.

„Die Berater-Republik“ (256 Seiten, 22 Euro, FinanzBuch Verlag)

Wie lässt sich Consulting „einhegen“? Wie bekommen Auftraggeber das Maximum aus ihrer Zusammenarbeit mit Unternehmensberatungen?

Es gibt eine ganze Reihe an Stellschrauben, an denen man als Auftraggeber ansetzen kann. Das beginnt bereits bei der Auswahl der Unternehmensberatung: Welches Beratungsfeld, welchen Beratungsansatz benötige ich? Mit wem möchte ich gerne zusammenarbeiten? Im Rahmen von Ausschreibungen kann man selbstverständlich auf den Preis achten. Neben dem Preiswettbewerb ist vielleicht noch viel spannender, wenn man einen Blick auf den Ideenwettbewerb richtet. Mit welchen Ideen kommt ein Berater oder eine Beraterin herein? In vielen Fällen ist es sehr sinnvoll, sich ein zweites oder drittes Angebot einzuholen.

Wenn die Beratenden dann vor Ort sind, muss ich diese als Auftraggeber steuern – ich darf mich nicht von ihnen steuern lassen. Als professioneller Kunde muss ich ein Gegengewicht haben und darf ich mich nicht in Themen hereinziehen lassen – wie beispielsweise die fakturierte neunte und zehnte Stunde am Tag oder fortlaufende Change Requests.

Nach dem Projekt sind die Evaluation und Wissenssicherung wichtig. Man muss zudem die Projekte strategisch begleiten und in die Gesamtorganisation einbinden. Dann sollte man ein Supplier Management betreiben, das dafür sorgt, dass die Leistung Hand und Fuß hat.

Am Ende steht die goldene Regel: Nichts tun, von dem man nicht möchte, dass es am nächsten Tag in der Zeitung steht. Man sollte in diesem Zusammenhang nichts tun, bei dem man Kopfschmerzen bekommen könnte, ob man damit am nächsten Tag in der Zeitung stehen könnte. Wenn man das beherzigt, ist man bereits einen großen Schritt weiter und umschifft einige Fettnäpfchen.

Können Sie uns einen persönlichen Einblick gewähren: Wie hat sich Ihr eigenes Bild auf Consulting in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt? Waren Sie schon immer kritisch distanziert?

Ich wollte eigentlich nie selbst Berater werden. Ich habe Berater anfänglich klischeehaft immer als arrogante Schnösel abgetan, bin dann aber durch einen persönlichen Kontakt eines Besseren belehrt worden. Und dann habe ich mir gedacht, ich probiere es selbst einmal aus.

Ich konnte in der Folge auch die andere Seite kennenlernen: Ich war Einkäufer von Projekten, war Auftraggeber, Kunde, Betroffener und Beteiligter im Rahmen von Beratungsprojekten. Daher kenne ich beide Seiten – und sehe beide Seiten mit ihren kritischen, aber auch positiven Aspekten. Heute fühle ich mich in Kontakt mit beiden Welten absolut wohl und anschlussfähig.

Sie sagen es: Sie waren Unternehmensberater bei einer der führenden IT-Service-Gesellschaften in Deutschland. Können Sie sich eine Rückkehr in Ihren Beruf als Berater vorstellen und falls ja: Welcher Art von Organisation würden Sie sich am ehesten anschließen?

Total interessante Frage, denn ich erhalte regelmäßig Angebote, die in diese Richtung gehen. Häufig sind es dann Beratungsthemen an der Schnittstelle zwischen Beratung und dem öffentlichen Sektor. Ich stelle mir jedoch die Frage: Verliere ich bei einer Rückkehr ins Consulting nicht meine Unabhängigkeit? Heute kann ich an den Themen arbeiten, die mir interessant erscheinen. Ich kann Thesen aufstellen, bei denen ich nicht aufpassen muss, ob ich jemandem damit auf die Füße trete – sondern nur, ob sie belastbar sind. Als Frage steht also im Raum: Kann ich als Berater, als Teil des Systems, noch unabhängig und hinreichend neutral Interviews führen und forschen?

Wenn mir das alles nicht wichtig wäre und wenn ich mich ganz unbeschwert dem Consulting zuwenden könnte, dann wären „die großen Tanker“ schon interessant für mich. Da einmal einen genaueren Blick in den Maschinenraum werfen zu können, hätte seinen Reiz. Zu sehen, wie sich die großen Beratungen selbst weiterentwickeln, wie sie mit künstlicher Intelligenz umgehen, das ist spannend.

Dann gibt es auch noch Spin-offs von Beratungen und Neugründungen, die ganz interessante Modelle entwickelt haben. Einige denken die Schnittstelle von Beratung und Kunde neu, andere haben ungewöhnliche Honorarmodelle – zum Beispiel eine Vorab-Bezahlung mit einer Art Gutschein- oder „Zehnerkarte“-Modell. Und wieder andere gehen sehr clever mit Technologie um und arbeiten am „people-free people business“. Ansätze dieser Art finde ich innovativ.

Mit dem Blick in die Glaskugel: Werden wir zukünftig stärkere Reglementierungen der Unternehmensberatung sehen, ähnlich wie bereits in der Wirtschaftsprüfung?

Da bin ich skeptisch, ich würde nicht darauf wetten, dass Consulting in absehbarer Zeit reglementiert wird. Dafür ist das Geschäft dann doch zu unkritisch. Was natürlich kommen könnte, ist die Trennung von Wirtschaftsprüfung und Beratung, die immer wieder angedacht wurde. Dieses Thema ist zwar nicht ganz oben auf der Agenda der Politik, aber auch nicht vom Tisch.

Was wir aber sehr wohl sehen, ist eine Form der Selbstregulierung: Es gibt immer wieder Berufsgrundsätze, Richtlinien oder Zertifikate, die vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU), vom Bundesverband „Die KMU-Berater“ oder vom Berufsverband für Training, Beratung und Coaching (BDVT) aufgestellt werden. Kürzlich hat der BDU beispielsweise die Bonner Erklärung zur Integrität von Consultingleistungen gegenüber öffentlichen Auftraggebern veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es ISO-Normen für die Qualität, individuelle Selbstverpflichtungen einzelner Häuser und so weiter.

Wenn man als Kunde aber genau hinsieht, stellt man fest, dass diese Dinge allesamt sehr weich formuliert sind und ohne Sanktionsmöglichkeiten daherkommen. Insofern ist man als Kunde stets besser beraten, selbst sauber zu steuern und sich nicht allein auf diese Selbstverpflichtungen zu verlassen.

Abschließend: Was lässt Sie trotz allem positiv-optimistisch auf die Zunft blicken?

Wenn man grundsätzlich ein optimistischer Mensch ist, dann geht das ganz einfach [lacht]. Nein, es gibt einfach viele Lichtblicke, es gibt sehr viel Veränderung und Entwicklung zum Guten. Da orientieren sich Organisationen neu, richten sich ganz massiv auf die Kunden aus. Anbieter entdecken neue Facetten von Kundenbedürfnissen, die man bislang noch nicht im Blick hatte.

Aber auch auf Kundenseite gibt es positive Entwicklungen – sowohl im Privatsektor als auch im öffentlichen Sektor. In den vergangenen Jahren gab es beispielsweise eine große Zahl an Neugründungen von internen Beratungen. Im Koalitionsvertrag ist eine „Beschleunigungsagentur“ definiert, die wie eine Art Shared Service Center agieren soll und überall dort helfen soll, wo es etwas zu tun gibt.

Die Bundesregierung hat zudem im Eckpunktepapier festgestellt, dass man als Auftraggeber fähiger werden müsse. Ein konkretes Beispiel, was sich daraus ergeben kann: In Friedrichshafen wurde intensiv über ein Beratungsbudget diskutiert, bevor ein Auftrag erteilt wurde – das muss man einmal anerkennen. Die Kunden lernen dazu. Die Frage ist nur, ob sie schnell genug lernen…

Herr Professor Deelmann, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Vielen Dank für Ihr Interesse, Herr Nerlich!


Thomas Deelmann ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein-Westfalen. Nach einer Verwaltungsausbildung und Wirtschaftsstudium arbeitet und forscht er seit über 20 Jahren als, für, mit und über Berater – in einem internationalen Beratungskonzern, als Beratungseinkäufer in einem DAX-Unternehmen, Projektleiter, Auftraggeber von Beratungen, Betroffener von Consulting-Projekten, Inhouse- und freier Consultant sowie in der Lehre und Forschung zur Unternehmens- und Verwaltungsberatung.


Quelle Titelbild: “Zeit der Kannibalen” – Kinopremiere im Jahr 2014, Regie: Johannes Naber