DANIEL NERLICH: Herr Haas, nachdem Sie gerade einmal sechs Monate bei der SAP an Bord waren, wurden Sie in die Geschäftsleitung berufen. Sie haben sich innerhalb Ihrer Probezeit offenbar sehr gut positioniert?
HENDRIK HAAS: Da sind sicherlich einige Punkte positiv zusammengekommen am Ende des vorletzten und Anfang des letzten Jahres. Und dann war ich zum richtigen Zeitpunkt am rechten Fleck. Man muss auch berücksichtigen, dass ich kein klassischer „New Hire“ war, also nicht erst seit sechs Monaten an Bord.
Sie waren bereits zwischen 1999 und 2006 bei der SAP als Berater tätig. Wie schwer fiel Ihnen der Wiedereinstieg rund 14 Jahre später und was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
14 Jahre sind ja eine lange Zeit und um da ganz ehrlich zu sein: Ich war vor dem Wiedereinstieg aufgeregt. Zwar gab es in der Zwischenzeit immer wieder Berührungspunkte mit SAP-Kontakten aus meinem Netzwerk. Aber man muss sich vor Augen führen, dass die SAP vor 14 Jahren deutlich kleiner positioniert war, auch produktseitig war es ein anderes Unternehmen als heute.
Und dann habe ich am ersten Tag meinen Rechner hochgeklappt und viele „Welcome back!“-Mails vorgefunden. Da ist mir erst einmal das Herz aufgegangen. Und das Gefühl war: „Ok, es scheint doch nicht ganz so schlimm zu sein, wieder zur SAP zurückzukehren“.
Im Zuge meines Wiedereinstiegs hat sich erwiesen, dass trotz aller Veränderungen ein kultureller Kern bei der SAP vorhanden ist, der extrem stabil ist. Jeder spricht mit jedem, man ist offen und wertschätzend. Insofern fiel der Einstieg nicht so schwer, wie man sich das vorstellen würde.
Welche Verantwortung tragen Sie heute als Head of Services Germany?
Ganz einfach dargestellt, bin ich für das Beratungsgeschäft der SAP in Deutschland verantwortlich. Das muss man vermutlich erklären, weil es im Services- und Consulting-Markt unique ist: Die Rolle bringt sicherlich ein sehr breites und besonderes Aufgabenfeld mit sich. Als Beratungseinheit eines Softwareherstellers haben wir eine besondere Stellung im Markt. Wir reflektieren das sicherlich auch in den Services, die wir anbieten, und so kommt es, dass wir viel mit Partnern zusammenarbeiten. Wir beantworten viele konzeptionelle Fragen, wir machen viele Innovationsprojekte, wir machen aber auch viele Umsetzungsprojekte und Trainings. Wir bewegen uns also in einem großen Spielfeld.
„Wir wollen die digitale Transformation unserer Kunden rocken!“
Letztlich reduziert sich das aber auf unseren eigenen Wunsch, dass wir die digitale Transformation unserer Kunden rocken und unsere Produkte bestmöglich zum Einsatz bringen wollen. Das ist unser Auftrag und entspricht meiner Rolle, die ich seit Anfang des letzten Jahres ausfülle.
Sie haben Ihre aktuelle Position auf dem Gipfel der ersten Corona-Welle übernommen – im April 2020. Hat der Lockdown Ihre ersten Schritte in neuer Funktion in irgendeiner Weise beeinflusst?
Natürlich war es eine turbulente und völlig verrückte Zeit. Zu einem solchen Zeitpunkt in diese Rolle zu rücken, ein großes Team mit großer Branchenabdeckung zu übernehmen und dann als Führungskraft dem zentralen Element der Führung, nämlich dem persönlichen Gespräch, beraubt zu werden, war sicherlich eine Herausforderung. Zu dem Zeitpunkt mussten wir uns zunächst finden und überlegen, ob man ein Kennenlernen nun virtuell oder doch zu einem späteren Zeitpunkt mit einem persönlichen Gespräch stattfinden lässt. Niemand wusste schließlich, wie lang sich der Lockdown hinziehen würde. Was wir aber gemerkt haben: Wir konnten sofort von analog zu virtuell umschalten und den Fokus auf den Kunden behalten, so dass sich ein Lockdown-Effekt in unseren Quartalszahlen gar nicht herauslesen lässt. Das Services-Deutschland-Team hat mir den Wiedereinstieg also insgesamt maximal einfach gemacht.

Gab es denn einige ehemalige Mitstreiter aus dem Jahr 2006, die noch an Bord waren?
Ja, viele und sogar nicht nur aus dem Jahr 2006! Ich habe den einen oder anderen wiedergetroffen, den ich am Anfang meiner Karriere im Beratertraining kennengelernt hatte. Das ist schon lustig, wenn man dann gefragt wird: „Ja, was machst Du denn wieder hier?“. Es gibt viele Wege, die man beschreiten kann…
Sie sagen es. Sie kennen den Consulting- und IT-Service-Markt aus verschiedenen Perspektiven: Sie waren nach der SAP bei Capgemini, Kienbaum, im IT-Strategiebereich der Deutschen Telekom, waren bei der mittelständischen Managementberatung goetzpartners und gründeten dann mit weiteren goetzpartners-Kollegen das Consulting-Start-up ADVYCE, wo Sie für 5 Jahre als Geschäftsführer tätig waren. Was haben Sie die verschiedenen Blickwinkel gelehrt?
Zunächst einmal muss man sagen, dass da kein Plan dahintersteckte. Es liest sich ja auch nicht, als ob das geplant gewesen wäre. Für mich war das jedoch genau der richtige Weg, weil er mir verschiedene Perspektiven auf oftmals ähnliche Sachverhalte aufgezeigt hat. Die Arbeit auf der Kundenseite hat meine Urteilsfähigkeit geschärft, in den jeweiligen Situationen zu erkennen, was der Kunde wirklich braucht. Das Gründen einer Beratung hat mich gelehrt: Was ist eigentlich unternehmerisches Handeln? Wo sind Chancen? Wie können wir uns erneuern? Das ist in einem größeren Kontext sicherlich schwieriger, wenn man ungeduldig ist und zuvor kleinere, agilere Formate kennenlernen konnte. Aber letztlich ist das dem, was wir im Consulting machen, sehr ähnlich. Sicherlich hat eine Strategieberatung einen anderen Auftrag als ein IT-Service-Provider wie wir es sind. Aber ich fand es spannend, den Weg zu gehen und kennenzulernen, was mir Spaß macht. Und dann kamen auch noch ein paar Zufälle dazu….
…und plötzlich sitzen Sie bei der SAP im Driver‘s Seat. Lassen Sie uns doch gerne einen Einblick in Ihre Zukunftsvision zu: In welche Richtung möchten Sie die SAPServices zukünftig entwickeln?
Erst einmal sind wir ja glücklicherweise nicht alleine auf der Welt – wir haben ein großartiges SAP-Ökosystem. Wir sind somit nur ein Puzzlestück in dem gesamten Spiel. Ich habe es vorhin bereits gesagt: Wir wollen die digitale Transformation unserer Kunden rocken! Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen wie eine Marketingüberschrift, aber da steckt ein ganz seriöses Anliegen dahinter. Man kann das ganz gut herunterbrechen: Wir haben natürlich den Anspruch, innovative Themen in den Markt zu treiben, unser Produktportfolio richtig zum Einsatz zu bringen. Da ist viel Dynamik drin, die uns zwingt, uns weiterzuentwickeln. Unsere Kunden sind höhere Geschwindigkeiten gewöhnt, unser Wettbewerbsumfeld ist recht dynamisch. Und in diesem Kontext haben wir eine exzellente Markenposition – gerade in Deutschland, im Heimatmarkt, sind wir gut im SAP-Services-Markt positioniert. Wir wollen wachsen, da gibt es eine ganz klar formulierte Wachstumsstrategie. Wir müssen in den richtigen Themen wachsen, die dann auch die Wachstumsziele des Gesamtunternehmens befördern. Das ist die eine Dimension.
Die andere ist natürlich, dass wir die Organisation und das Team, jeden einzelnen, der beim Kunden arbeitet, weiterentwickeln. Es gilt, diese einfache Frage zu beantworten: Wie kriegen wir die Outcomes für den Kunden generiert, die der Kunde von uns erwartet? Und wenn man die Kette von dieser Kernfrage ausgehend rückwärts entlanggeht, ergeben sich ganz viele Maßnahmen, die auf den Erfolg der digitalen Transformation bei unseren Kunden einzahlen. Bei einer so großen Organisation wie unserer gibt es da viel zu tun!
Die SAP ist eingebettet in ein Ökosystem mit höchst unterschiedlichen Partnern. Gibt es denn aus Ihrer Sicht „überlegene“ Consulting-Geschäftsmodelle, die in der Zukunft besonders erfolgreich sein werden? Geht der Trend zu den großen End-to-end-Plattformen oder haben auch kleinere Markteilnehmer eine Daseinsberechtigung?
In den vergangenen Jahren hatte ich in den verschiedenen Positionen treffliche Gelegenheit, über diese Frage nachzudenken [lacht]. Man sieht ja viele Bewegungen im Markt – ein Großer kauft einen Kleinen, dann gibt es strategische Partnerschaften, dann gibt es Aufsteiger und der Fokus verändert sich….das ist ein Spiegelbild dessen, was die Kunden fordern. Ich glaube, es ist schwierig, eine Festlegung zu treffen, welches Modell wirklich „überlegen“ ist. Ich glaube, wir müssen uns von den klassischen Schubladen verabschieden, weil es immer mehr fließende Übergänge gibt. Es wird nicht mehr nur die einen geben, die die Strategie machen, und die anderen, die umsetzen, sowie die Dritten, die das Change Management machen.
„Innerhalb der großen Buckets sind die Übergänge fließend“
Die klassische Wasserfall-Denkweise entspricht nicht mehr der Lebenswirklichkeit. Klar gibt es noch gewisse Spezialisierungen, zum Beispiel M&A einerseits und die digitale Transformation andererseits, aber innerhalb der großen Buckets sind die Übergänge fließend, was sich in der Vielzahl der Partnerschaften und Zusammenarbeitsmodelle zeigt. Letzten Endes geht es um die Aufgabenstellungen unserer Kunden und derjenige, der diese richtig in den Griff bekommt, der hat – für den Moment – das überlegene Geschäftsmodell.
Digitalisierung ist allerorten. Wie schwer fällt es Ihnen, in einem kompetitiven Kandidatenmarkt Mitarbeitende für die SAP zu begeistern?
Ich glaube, das fällt uns eigentlich leichter als manch anderem – schließlich haben wir wirklich viel zu bieten! Die SAP ist ein fantastischer Arbeitgeber, gerade auch in der Krise konnten wir das an den vielen Angeboten sehen, die uns in dieser Zeit von der Firma gemacht wurden.
Gleichzeitig, wenn man mehr auf die Inhalte schaut, bieten wir ein unglaublich spannendes Umfeld mit sehr vielen, hoch innovativen Fragestellungen, die wir bei unseren Kunden bedienen können. Und letztlich haben wir eine spannende Kundenbasis, die ihresgleichen sucht. Da hat das Spielfeld, sich auszuleben, wenig Limitierungen.
Sie sprechen auch von Ihrer SAP-Kultur. Kultur wird vor allen Dingen geprägt von den Führungskräften – „walk the talk“ heißt es so schön. Sie selbst sind Führungskraft mit Verantwortung für hunderte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Kompetenzen, um in den kommenden Jahren in der Unternehmensberatung erfolgreich zu sein?
Das ist eine ganz schwierige Frage – weil es eigentlich so simpel ist. Ich glaube, im Service-Markt allgemein ist man erfolgreich, wenn man Empathie, Lernbereitschaft und eine nicht enden wollende Neugierde mitbringt. Speziell auf Führungskräfte bezogen, kommen dann noch weitere Facetten hinzu. Wie Sie gerade bereits sagten: „walk the talk“ – es geht um Authentizität und Verlässlichkeit. Und ich glaube, bei diesen Themen sind wir bei der SAP richtig gut aufgestellt.
Wie muss man sich heute Ihre Lebenswelt als Mitglied der Geschäftsleitung der SAP vorstellen: Wie balancieren Sie persönlich beispielsweise Privates und Berufliches?
Das mit der Balance ist ja immer so eine Frage, wo da der Schwerpunkt liegt. Aktuell sind die Arbeitsabläufe natürlich brutal virtuell geprägt. Wir alle bewegen uns viel weniger und führen täglich zahllose Videokonferenzen. Ich glaube, das ist der Zeitpunkt, bei dem man darauf achten muss, die Balance nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Da achten wir bei der SAP auch gegenseitig darauf. Ich persönliche brauche viel Sport. Wenn man die Balance aus Familie, Sport und Beruf hinbekommt, ist man am Ende auch insgesamt leistungsfähiger.
Welchen Karrieretipp würden Sie Ihrem 20 Jahre jüngeren Ich geben?
Keinen [lacht]. Ich hätte vor 20 Jahren sowieso keinen Tipp angenommen und in den Jahren danach auch nicht. Was ich aber mitgeben kann: Es ist sicherlich immer hilfreich, sich einen Sparrings-Partner zu suchen. Eine Person, die die eigene Position verstehen und mit der man sich austauschen kann. Beratung ist zwar per se ein kompetitives Modell, aber es gibt durchaus den einen oder die andere, mit denen man mal Meinungen schärfen und diskutieren kann. Und irgendwann hat man dann ein eigenes Bild und kann Entscheidungen treffen. Und selbst Entscheidungen zu treffen, hat noch niemandem geschadet.
Herr Haas, herzlichen Dank für das Gespräch.
Über Hendrik Haas
Hendrik Haas ist Mitglied der Geschäftsleitung der SAP Deutschland. Als Head of Services Germany leitet er einen Bereich mit knapp 1500 Mitarbeiter/-innen und verantwortet das gesamte SAP Beratungsgeschäft für den deutschen Markt. Er startete seine Karriere bei SAP als Berater, danach war er unter anderem bei Kienbaum und Telekom tätig, bevor er 5 Jahre als geschäftsführender Gesellschafter den Aufbau der Unternehmensberatung ADVYCE mitgestaltet hat. Vor zwei Jahren kehrte er zur SAP zurück und richtet nun den Fokus seiner Organisation darauf aus, seine Kunden auf ihrem Weg zur digitalen Transformation und in die Cloud zu begleiten.
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