Fest oder frei? Diese Frage stellen sich immer mehr Unternehmensberater, wenn es um ihr Arbeitsmodell geht. Die mediale Präsenz des Themas Freelance-Consulting deutet darauf hin, dass sich über Jahrzehnte etablierte Strukturen im Markt verändern. Als festangestellter Consultant für eine Unternehmensberatung zu arbeiten, wird in der Zukunft vielleicht kein Selbstverständnis mehr sein. Vor wenigen Tagen wurde eine groß angelegte Studie veröffentlicht, die das Thema genauer beleuchtet. Neben Prof. Dietmar Fink von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung war Dr. Jan Schächtele Co-Autor der Studie. Consultant Career Lounge hatte die Gelegenheit, Herrn Schächtele zu den Ergebnissen und Trends zu befragen.
Herr Dr. Schächtele, wird es in zehn Jahren mehr festangestellte oder mehr freiberufliche Consultants geben?

Der BDU geht aktuell von knapp 100.000 Beratern in Deutschland aus, 15.000 davon Freiberufler. Dieses Gefüge wird sich verändern, der Anteil der Freiberufler wird wachsen, aber es wird natürlich noch immer mehr festangestellte Berater geben. Erst vor einigen Tagen konnte man im Handelsblatt lesen, dass McKinsey Deutschland über 300, Bain 200 neue Berater einstellen wird und wie stark die Branche wachsen wird, 2017 wird wohl erstmalig die 30-Milliarden-Umsatzmarke geknackt. Den Beratungen geht es ausgezeichnet. Freiberuflichkeit wird zu einer ebenbürtigen Option für Unternehmensberater aus den großen Häusern werden, genauso wie der Wechsel in die Konzerne oder Politik. Die Bewegung zwischen Festanstellung und der Freiberuflichkeit wird größer werden, der Schritt in die Selbständigkeit mit weniger Risiko verbunden – wenn man gut ausgebildet ist. Spannend finde ich die Frage, wie der Unternehmensberater der Zukunft aussehen wird, was er studiert hat. Kann man in 10 Jahren noch Berater werden, ohne programmieren zu können?
Sie haben soeben eine Studie mit dem Titel „The DNA of the Independant Consultant“ veröffentlicht. Wie lässt sich Sie diese DNA kurz und kompakt beschreiben?
Seine Freiberuflichkeit ist selbstgewählt, das war kein Kompromiss, weil er nichts Besseres gefunden hat. Vor allem will er selbstbestimmter über Projekte, Kunden und seine Lebenszeit entscheiden. Er ist optimistisch, was die Zukunft betrifft, würde seinen Freunden auch empfehlen, Freiberufler zu werden. Er glaubt, dass mehr Kunden freie Berater engagieren werden, dass das Segment wächst. Er kommt gut mit Unsicherheit klar und sagt regelmäßig Nein zu Projekten, zum Beispiel. wenn der Arbeitsort nicht passt. Im Vergleich zu seiner Zeit als festangestellter Berater gilt: Er hat mehr Verantwortung, verdient mehr Geld als vorher. Und vor allem: Er ist zufriedener mit seiner Work-Life-Balance als vorher.
Man spricht heute bereits von der „Gig Economy“, es scheint, als ob es einen deutlichen Trend in Richtung Freelancing gibt. Was sind aus Ihrer Sicht die strukturellen Gründe für diese Entwicklung?
Es gibt Treiber auf beiden Seiten des Marktes. Die Berater sind bereit, Sicherheit gegen Flexibilität und Entscheidungsfreiheit zu tauschen. Bei den Firmen führen Veränderung der Prozesse und Strukturen hin zu mehr Projektarbeit. Dort werden dann die besten Leute für ein Thema zusammengebracht und das können eben auch Externe sein. Auslöser sind viele: Veränderungsdruck durch Digitalisierung und Globalisierung und Standardisierung und Automatisierung in vielen Bereichen. Was übrig bleibt sind komplexe Themen, die als Projekt angegangen werden.
In Ihrer Studie berichten 91 Prozent der Befragten davon, dass sie glücklicher als in der Festanstellung oder zumindest ebenso glücklich sind. Kann man daraus schließen, dass es für das eigene Wohlbefinden besser wäre, Freiberufler zu werden, oder muss man sich um die 9 Prozent derer Sorgen machen, die sich als Freelancer weniger wohl fühlen?
91% ist eine enorme Zahl, die hat uns in ihrer Eindeutigkeit selbst überrascht. Sie bezieht sich auf die Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance und zeigt mir vor allem, wie wichtig Menschen Selbstbestimmung ist – es geht ja nicht darum, dass die Berater alle weniger arbeiten wollen, sie wollen nur selbst entscheiden, wieviel – der eine so, der andere so. Und natürlich ist das auch eine Typfrage, es gibt Menschen, die die Sicherheit eines unbefristeten Arbeitsvertrages für ihr Wohlbefinden dringend brauchen. Ich nehme an, dass die 9%, die unzufriedener sind als in Festanstellung, gern eine höhere Auslastung hätten. Unsere Aufgabe ist, für diese Gruppe mehr Projekte zu akquirieren. Ich bin aber überzeugt: Wenn Sie in eine beliebige Firma gehen und dort fragen, ob die Angestellten zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance sind, wird eine niedrigere Prozentzahl mit „ja“ antworten als in unserer Umfrage.
Herr Schächtele, Sie haben eine Onlineplattform zur Vermittlung von Freelancern gegründet, um Beratern das Gewinnen von neuen Projekten leichter zu machen. Hat es Sie überrascht, dass bereits heute rund die Hälfte der Befragten nur einen halben Tag zur Projektakquisition benötigt?
Das stimmt. Aber ein Drittel der Befragten braucht einen Tag oder mehr pro Woche, wenn man das hochrechnet, heißt das schon: Fast eine Woche pro Monat wird nur auf das Heranschaffen von Projekten verwendet. Ob es ein halber Tag pro Woche ist oder zwei: Wir wollen diese Zeit verringern, denn Berater wollen beraten, nicht akquirieren.
Ein Aspekt, der häufig diskutiert wird: Wie steht es mit der eigenen Weiterbildung? Berater in der Festanstellung genießen häufig Fortbildungen durch ihren Arbeitgeber. Wie ist dies im Falle der freiberuflichen Berater?
Nur 3% der Befragten sagen, dass sie nichts tun, um sich fortzubilden, Austausch mit anderen Beratern, Lesen von Fachmedien, Workshops etc. sind die gängigen Wege. Wir haben kürzlich bei COMATCH Trainings und Seminare eingeführt, das heißt Berater aus dem Netzwerk bilden andere Berater in bestimmten Themen fort.
Wo liegen weitere Klippen, die freiberufliche Berater umschiffen müssen?
Auffällig ist, dass in der Beziehung zwischen Klient und Berater noch viel verbessert werden kann, also ganz konkret auf dem Projekt, da würden bessere Zielgespräche, besseres Onboarding und bessere Feedbackgespräche viel verändern, aber damit sehen sich auch klassische Beratungen konfrontiert. Eine weitere Hürde scheinen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu sein: Nur 35% Prozent sagen, dass die Situation für Freiberufler „sehr attraktiv“ sei, ich glaube hier ist es langsam an der Zeit, dass die Politik sich auf flexible Arbeitsmodelle einstellt und das ganze Thema der Freiberuflichkeit differenzierter betrachtet.
Ist die Freiberuflichkeit tatsächlich so lukrativ wie man so häufig hört?
Laut unserer Studie: Ja. 58% gaben an, mehr zu verdienen als vorher und für die Berater, die direkt aus einer Unternehmensberatung kamen, war die Zustimmung noch höher, 68% hatten besseren Verdienst. Der durchschnittliche Tagessatz liegt bei 1.300 Euro, im Schnitt liegt die Auslastung bei 130 Tagen – für Frauen bei 90 Tagen – selbst nach Abzug der Steuern kann man von diesem Verdient sehr gut leben, selbst wenn man nicht zu den Arbeitstieren gehört, die auch mal 180 Tage ausgebucht sind. Es zeigt sich aber noch etwas viel interessanteres, nämlich, dass der Wunsch nach mehr Geld eine überraschend unwichtige Rolle gespielt hat in den Überlegungen der Berater, sich selbständig zu machen. Projektthemen selbst zu wählen, mehr Flexibilität, die Kunden aussuchen zu können, mehr Verantwortung – all das wurde als wichtiger bewertet.
Welchen Tipp können Sie abschließend Beratern geben, die mit einer freiberuflichen Tätigkeit liebäugeln?
Grundsätzlich natürlich: Traut euch! Und achtet darauf, dass ihr ein Profil habt, das für etwas steht: Expertise, Erfahrung, Engagement. Sonst wird es schwer.
Zur Person
Dr. Jan Schächtele hat gemeinsam mit Dr. Christoph Hardt 2014 COMATCH gegründet. Zuvor war er sechs Jahre bei McKinsey & Company, zuletzt als Junior-Projektleiter. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bei McKinsey lagen im Energiesektor sowie der Infrastruktur- und Logistikbranche, wobei der Fokus vor allem auf den Themen Nachhaltigkeit und Lean Management lag. Dr. Jan Schächtele verfügt über einen Doktortitel in Umweltökonomie der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden. Zuvor studierte er an der EBS Business School, Oestrich-Winkel – mit Abschluss als Diplom-Kaufmann – sowie an den Universitäten von Singapur und Québec, Kanada. Er ist ehemaliger Stipendiat der Stiftung der Deutschen Wirtschaft und spielte mehrere Jahre für den USC Freiburg Basketball in der 2. Bundesliga.