Dr. Jan Schächtele, Co-Founder von COMATCH: „Am Ende geht es für die Berater um die Abwägung zwischen Sicherheit und Flexibilität“

DANIEL NERLICH: Herr Dr. Schächtele, wie ist COMATCH durch die vergangenen eineinhalb Jahre der Corona-Krise gekommen?

DR. JAN SCHÄCHTELE: Grundsätzlich steht COMATCH sehr gut da. Aber wie bei vielen war es zuletzt eine Phase mit starken Veränderungen. Wenn man bei uns auf die einzelnen Bereiche schaut, ergibt sich ein differenziertes Bild. Auf der Beraterseite ist festzustellen, dass in Krisenzeiten weniger Personen den Schritt in die Freiberuflichkeit wagen. Dies schlug sich in einem Rückgang von 20 bis 25 Prozent auf Monatsbasis nieder und dieses Delta hat sich auch noch nicht wieder schließen lassen.

Wenn man auf die Kundenseite schaut, ist unsere Entwicklung sicherlich sehr vergleichbar mit der von den klassischen Unternehmensberatungen: Am Anfang ein Fokus auf Liquiditätssicherung, kaum Projekte und dann im Verlauf des Sommers wurde den Firmen klar, dass man sich auf Corona als dauerhaften Begleiter des Geschäfts und auf neue Formen der Zusammenarbeit einstellen muss. Und dann zog auch die Nachfrage wieder massiv an, die heute sogar über dem Vor-Corona-Niveau liegt.

Abschließend haben wir bei COMATCH intern merken können, dass wir auch sehr gut mit Remote Work umgehen können – sowohl technisch als auch kulturell. Ein paar Anpassungen waren in diesem Zusammenhang notwendig: Insbesondere die Frequenz an firmeninterner Kommunikation mit unserem Team haben wir deutlich erhöht, zum Beispiel über wöchentliche Mails an alle Mitarbeiter, damit der Informationsfluss für jeden aufrechterhalten werden konnte. Alles zusammengenommen kann man sagen, dass wir gut durch die Krise gekommen sind und aktuell sehr zuversichtlich für die Zukunft sind.

Mit der Pandemie gab und gibt es eine große Diskussion um das „New Normal“, das Thema „New Work“ hat einen zweiten Frühling erfahren. Immer mehr Beratungen überdenken, ob man die Option „100 % Homeoffice / Remote Work“ arbeitsvertraglich anbieten sollte. Hybrides Arbeiten scheint jedoch in jedem Fall ein Modell zu sein, das viele Beratungen beibehalten wollen. Denken Sie, dass diese Flexibilisierung Ihnen und dem Thema Freelance-Arbeit in die Karten spielt?

Es gibt zwei Ebenen, diese Frage zu beantworten. Zunächst einmal: Was heißt das für die Beraterinnen und Berater selbst? Ich glaube, dass mit solchen Angeboten die klassische Beratung für manche Person wieder attraktiver wird. Für ein kleines Segment an Beraterinnen und Beratern wird der Schritt in die Freiberuflichkeit nicht mehr so attraktiv, weil man vergleichbare Freiheitsgrade und ein höheres Maß an Selbstbestimmtheit des Standortes von dem aktuellen Arbeitgeber geboten bekommt.

Die zweite Dimension betrifft den Markt der freiberuflichen Beraterinnen und Berater: Wir glauben, dass New Work dem Markt insgesamt sehr helfen wird, da sich die Arbeit der Endkunden nachhaltig verändert hat. Die arbeiten nun selbst viel häufiger in Remote-Setups und haben sich zwischenzeitlich an dieses Arbeitsmodell gewöhnt. Wenn man sowieso Teams von unterschiedlichen Standorten zusammenstellt, fällt es zugleich leichter, auch einzelne Personen von außerhalb zu integrieren. Die Organisationsprozesse sind somit viel besser auf das Flexible ausgerichtet. Wir glauben somit, dass die Entwicklungen auf Kundenebene uns positiv in die Karten spielen werden.

Sehen Sie langfristige Trends im Consulting-Markt in Bezug auf Arbeitsorganisation und Liefermodelle?

Auf jeden Fall! Wenn man auf die Liefermodelle schaut, kann man feststellen, dass die großen Akteure auf ein Full-Service-Angebot setzen und die Verbreiterung ihrer Servicepalette in der Zukunft noch weiter forcieren werden – maßgeblich getrieben durch intensive M&A-Aktivitäten.

Demgegenüber führt der Trend zu sehr spezifischem Wissen und zur Modularisierung zu vielen spitzen Einzelthemen, die wiederum Raum für neue Akteure – gerade im Kontext der Digitalisierung – schaffen werden. Somit gibt es aus unserer Sicht zwei große, gegenläufige Trends, die wir für die Angebotsseite im Consulting-Markt erwarten.

Wenn man jetzt auf die Seite der Beratungshäuser blickt, erwarten wir für die Zukunft, dass diese noch flexibler werden müssen. Beratungshäuser werden damit konfrontiert sein, dass die Bandbreite an Themen immer größer wird. Die Expertise wird dadurch gegebenenfalls so spitz, dass man diese gar nicht dauerhaft nutzen kann. Man hat so seine Kernthemen, aber außerhalb dieser gibt es ganz eng definierte Spezialthemen. Für die Beratungsorganisation der Zukunft wird das Zusammenspiel mit Freiberuflern ein strategisches Element. Man braucht sein Kernteam für die Fokusthemen, aber man muss zugleich so flexibel sein, Expertise einzubinden, die nicht dauerhaft auf der Payroll zu finden ist.

Während Firmen in UK und in der Schweiz dem Freelance-Consulting schon seit Jahren sehr offen gegenüberstehen, scheint dies laut Studienergebnissen in Märkten wie Benelux und Deutschland noch nicht der Fall zu sein. Woraus ergeben sich aus Ihrer Sicht diese Unterschiede im Ländervergleich?

Zunächst kann ich diese Unterschiede nur bestätigen. Wenn man es für die drei Märkte UK, Frankreich und Deutschland plakativ darstellen möchte: Es ist eine Mischung aus kultureller Historie und rechtlicher Dimension – und diese mögen sich in der Vergangenheit beidseitig beeinflusst haben. Je stärker die Firma als Institution mit einem Wohlfühl-Empfinden einhergeht, desto weniger stark ausgeprägt ist das freiberufliche Arbeiten. Die starken Gewerkschaften in Frankreich beispielsweise haben den französischen Mitarbeiter in Frankreich sehr stark gestellt in Bezug auf Rechte und Sicherheiten. Für den Markt der Strategie- und Managementberater hat dies zur Folge, dass Freelance hier im europäischen Vergleich am schwächsten ausgeprägt ist. Auf der anderen Seite ist England zu sehen: Der relativ schwache Kündigungsschutz in UK stellt den festangestellten Berater mehr oder weniger gleich mit dem freiberuflichen Berater.

Am Ende geht es für die Berater um die Abwägung zwischen Sicherheit und Flexibilität. Je stärker der Sicherheitsaspekt ist, desto größer muss der Wille der Person sein, dies mit dem Selbstbestimmtheitsfaktor zu überwiegen. Aus unserer Sicht ergeben sich die Unterschiede im Ländervergleich aus dem kulturhistorischen Kontext, wie sich arbeitsrechtliche Regulatorien entwickeln konnten. Als Konsequenz daraus leitet sich ab, wie lang es Freelancer in dem betreffenden Land gibt und wie reif der Markt letztlich ist.

Wir hatten 2019 noch davon berichtet, dass Sie die Expansion in den USA fortsetzen und ein Office in New York gründen. Sie haben sich zwischenzeitlich wieder aus dem amerikanischen Markt zurückgezogen. Was waren die Beweggründe?

Wir hatten damals strategisch überlegt, worauf wir uns fokussieren wollen. Wir haben dabei gesehen, dass unser Kernmarkt Europa noch so viele Wachstumschancen bietet und so viel Edukation erfordert, dass wir nicht auf zwei Großmärkten angreifen können. Wir können nicht in Europa dieses Marktsegment mit hoher Intensität entwickeln und zugleich in einen weiteren Markt eintreten, der andere Herangehensweisen erfordert hätte. Wir hätten in den USA nicht unsere Blaupause aus Europa anwenden können, so dass wir uns in Konsequenz für eine Fokussierung auf den europäischen Markt entschlossen. Rückblickend war es die richtige Entscheidung, da es in den USA ansonsten im Zusammenhang mit Corona zu einem Fiasko hätte kommen können.

Nachhaltigkeit, Carbon net-zero, ESG – das scheinen die großen Beratungsthemen der kommenden Jahre zu sein. Hat COMATCH hierzu bereits einen spezifischen Berater/innen-Pool aufgebaut?

Gefühlt ist das ein Thema, das schon seit Jahren relevant war – aber es gab hierzu nur sehr vereinzelt konkrete Projektanfragen. Natürlich ist das Thema durch die aktuellen Naturkatastrophen sehr präsent, jedoch sehen wir das noch nicht in der Nachfrage an Projekten. Wir sehen keinen spürbaren Anstieg nach Projekten zum Thema Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung & Co. Wir haben diese Beraterinnen und Berater in unserem Pool, aber wir sehen nicht, dass dieser von Kunden in dem Maße nachgefragt wird, wie es nötig wäre, um die Themen ernsthaft zu adressieren. Zu meiner Zeit bei McKinsey hatte ich selbst einen fachlichen Hintergrund im Bereich Nachhaltigkeit und ich bin persönlich sehr gespannt, ob dies nur ein Thema ist, das gerade en vogue ist und gerne diskutiert wird, oder ob es mit relevanten Projekten wirklich angegangen wird. Derzeit ist es für die Unternehmen zunächst einmal ein Kostenthema, mehr Nachhaltigkeit und ein höheres Ergebnis in der Bottom-Line sind selten zugleich zu realisieren. Der Druck muss sehr hoch werden, damit dieser Fokus auf die kurzfristigen Kosten aufgebrochen wird…

Gegebenenfalls reguliert durch die Politik…Am 26. September 2021 steht die Bundestagswahl an und auch Themen wie Arbeitsmodelle und Freiberuflichkeit spielten im Wahlkampf hier und da eine Rolle. Von welchen konkreten Veränderungen würde denn aus Ihrer Sicht Freelance-Consulting profitieren?

Ich glaube, in der deutschen Regulierung ist die größte Unsicherheit in der Scheinselbständigkeit bzw. im Statusfeststellungsverfahren zu sehen. Das führt dazu, dass ein ganzes Marktsegment mit Unsicherheit befangen ist. Einige große Akteure, die zuletzt schlechte Erfahrungen gesammelt haben, stellen rigoros fest, dass sie sich weitere Unsicherheit nicht erlauben können. Ich glaube, wenn man hier eine Lösung finden würde, die ein transparentes, allgemeines und nicht einzelfallbasiertes Statusfeststellungsverfahren ermöglicht, hätte man einen riesigen Schritt gemacht. Aus politischer Perspektive kann ich nachvollziehen, dass man mit der Perspektive der Sicherheit und des Schutzes von Gruppen und Einzelnen an dieses Thema herangeht. Ich glaube nur, dass hier zu vieles über einen Kamm geschert wird und dass man am Ende nicht das erreicht, was man ursprünglich beabsichtigt hat. Letztlich bremst man Innovation, weil man den Unternehmen das Einholen von strategischer Expertise verunmöglicht.

Der strategische Weg eines Start-ups, das über Investoren einen ambitionierten Wachstumskurs vollzieht, könnte ja grundsätzlich in einen Börsengang oder einen Verkauf münden. Wie häufig wird denn bereits bei Ihnen angeklopft und wie weit fortgeschritten sind die Diskussionen?

Wir merken, dass das Marktsegment als ein dauerhaft existierendes und reifes wahrgenommen wird und dass wir inzwischen eine solche Größe erreicht haben, dass wir als strategischer Marktteilnehmer wahrgenommen werden. Wir denken unsererseits darüber nach, wo es vielleicht Partnerschaften geben könnte, um aus 1 + 1 zu einer 3 zu kommen. Im amerikanischen Kontext nehmen wir wahr, dass es zu ersten Akquisitionen kommt – die Business Talent Group (BTG) wurde beispielsweise in diesem Jahr von Heidrick & Struggles übernommen.

Sie waren sechs Jahre bei McKinsey, haben dann vor sieben Jahren COMATCH gegründet. Könnten Sie sich selbst vorstellen, wieder in die klassische Unternehmensberatung zurückzukehren?

Die klassische Unternehmensberatung kann ich mir nicht mehr vorstellen. Es gab für mich irgendwann den Moment, als ich den klassischen Faktor der Selbstbestimmtheit gesucht habe. Dies hat bei mir dazu geführt, dass eine Anstellung im Consulting für mich keine langfristige, dauerhafte Option mehr sein konnte. Was ich mir vielleicht noch eher vorstellen könnte: Als freiberuflicher Berater zurückkehren! Die Zusammenarbeit mit Klienten an komplexen Themen und das Entwickeln von Lösungen machen mir nach wie vor sehr viel Spaß. Dieser Teil der Beratertätigkeit macht mir Freude – aber nicht im Kontext einer Festanstellung.

DANIEL NERLICH: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Schächtele.

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