Gastbeitrag – „Und? Was machen Sie so beruflich?“

Wie sieht der Consulting-Markt im Jahr 2030 aus? Marginalisiert und auf wenige Kernfelder beschränkt oder wird nach Jahren des weiteren Booms ein riesiger Multi-Milliarden-Dollar-Markt entstanden sein? Wie sich die zukünftige Entwicklung des Beratungsmarktes auf die Karriere auswirken wird, beschreibt im nachfolgenden Gastbeitrag Prof. Dr. Thomas Deelmann, der das Consulting seit Jahren wissenschaftlich untersucht. Die aufgeführten Aussagen basieren auf seiner Studie „Does Digitization Matter? Reflections on a possible Transformation of the Consulting Industry“, die Ende 2017 erscheinen wird.

WIE ES DAMALS WAR

„Und? Was machen Sie so beruflich?“ Wer vor einigen Jahren auf diese Frage mit „Ich bin Consultant“ geantwortet hat, dem begegnete oftmals eine sehr ausgeprägte Reaktion. Sie konnte Bewunderung ausdrücken, aber auch Abneigung.

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Prof. Dr. Thomas Deelmann

Bewunderung, weil die Branche der Unternehmensberatung aus einer relativ kleinen Gruppe von relativ gut ausgebildeten Menschen bestand, die orts- (und auch fast zeit-) ungebunden den großen und mächtigen Unternehmenslenkern der Welt Hinweise zur effizienten Betriebsführung einflüsterten. Consultants konnten also etwas bewegen und für einen wirtschaftlichen Ressourceneinsatz sorgen – als Ausweis für die Attraktivität der Branche denke man an die Höhe der gezahlten Honorare und die Ergebnisse der einschlägigen Umfragen zur Arbeitgeberattraktivität.

Abneigung als Reaktion hingegen war zu beobachten, weil die Branche der Unternehmensberatung aus einer relativ kleinen Gruppe von relativ gut ausgebildeten Menschen bestand, die orts- (und auch fast zeit-) ungebunden den großen und mächtigen Unternehmenslenkern der Welt Hinweise zur effizienten Betriebsführung einflüsterten. Die Beratungs-Elite wurde dabei als Synonym für Arbeitsplatzverlagerungen und Entlassungen gesehen – ein Beispiel für diesen Blickpunkt ist Rolf Hochhuths Theaterstück „McKinsey kommt“.

WIE ES WERDEN KÖNNTE

Wer in einigen Jahren auf die Frage „Und? Was machen Sie so beruflich?“ mit „Ich bin Consultant“ antwortet, der wird vielleicht ein gleichgültiges und gelangweiltes Achselzucken erhalten. Im besten Falle gibt es eine höfliche Nachfrage à la „Und in welcher Service Line?“ oder „Und wie lange dauert es noch bis zur nächsten Promotion?“.

WIE AUS WENIGEN VIELE WERDEN

Der Blick in die Zukunft ist natürlich spekulativ. Die Grundlage für diese Vermutung ist im ersten Schritt rein numerischer Natur: Im Jahr 2015 gab es in Deutschland laut dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e.V. (BDU) circa 110.000 Berater. 2005 waren es knapp 70.000, 1995 gut 44.000 und wenn man noch weiter in Vergangenheit schauen will, dann kann man für 1985 mit gut 20.000 Beratern kalkulieren. Mit der Anzahl an Beratern ist auch das Marktvolumen stetig gestiegen (Stichwort: People Business) – im gerade skizzierten Zeitraum von wenigen Millionen DM auf circa 27 Milliarden Euro.

Allerdings ist dieses Wachstum nicht wirklich verwunderlich: Schließlich wurde die Beratungsnachfrage unter anderem durch die Wiedervereinigung, das sogenannte Jahr-2000-Problem oder jüngst die Digitalisierung angefacht wurde.

Aufschlussreicher erscheint es, das Wachstum des Beratungsmarktes mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (ausgedrückt durch das Bruttoinlandsprodukt, BIP) zu vergleichen. Hier ist zu erkennen, dass die Beratungswirtschaft von 1964 bis 2015 fast in allen Jahren stärker gewachsen ist, als die Gesamtwirtschaft; im Durchschnitt um 7,2 Prozentpunkte.

Für die Zeit bis 2030 erwarten Volkswirtschaftler ein jährliches BIP-Wachstum von durchschnittlich circa einem Prozent. Wenn, optimistisch betrachtet, das Wachstum des Beratungsmarktes in den kommenden Jahren die Gesamtwirtschaft wieder um gut sieben Prozent übertrifft, dann kann hier c.p. für 2030 ein Beratungsmarktvolumen von 80 bis 90 Milliarden Euro prognostiziert werden. Dieses Volumen lässt sich unter Rückgriff auf aktuelle Durchschnittshonorare in circa 360.000 Berater übersetzen.

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WAS DIE VIELEN MACHEN

Dieser Berateranstieg wäre zunächst einmal weder gut noch schlecht. Er führt dabei zu einer Art Gewöhnung im Umgang mit der Consulting-Branche: Es gibt viel mehr aktive Berater, eine große Zahl ehemaliger Berater arbeitet in Unternehmen anderer Branchen und viele Unternehmen haben bereits Erfahrungen in der direkten Zusammenarbeit mit Beratern machen können.

Auswirkungen des Mitarbeiterwachstums werden aber an anderer Stelle sichtbar, nämlich bei den konkreten Aufgaben und Tätigkeiten. Berater selber geben in ihren Eigenpräsentationen als Beispiele ihrer Tätigkeiten gerne das Aussprechen eines Rates, die Unterstützung bei der Lösung von Problemen, die Begleitung bei einer Transformation etc. Auch in der Literatur finden sich Definitionen, die auf diese Aspekte fokussieren, beispielsweise: „Als organisationale Beratung wird ein professioneller, vertraglich beauftragter Dienstleistungs- und Transformationsprozess der intervenierenden Begleitung durch ein Beratersystem bei der Analyse, Beschreibung und Lösung eines Problems des Kundensystems – im Sinne einer Arbeit an Entscheidungsprämissen – mit dem Ziel der Transformation verstanden.“ Diese Tätigkeit kann als der ursprüngliche Typ von Beratung bzw. als „Beratung im engeren Sinne“ (i.e.S.), interpretiert werden

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass nicht alle Dienstleistungen, die von Beratungen als „Beratung“ angeboten und auch von Kunden nachgefragt werden, den selbstgesetzten Anforderungen genügen. Es wird zwar oft an Problemen des Kunden gearbeitet, aber regelmäßig nicht im Rahmen der oben geforderten „Begleitung“ und der „Arbeit an Entscheidungsprämissen“: Zu oft liegen andere Formen der Zusammenarbeit vor. Beispiele sind das Co-Management, Interim-Management oder das sogenannte Body Leasing. In Anlehnung an die oben beschriebene Beratung i.e.S. kann hierbei von einer „Beratung im weiteren Sinne“ (i.w.S.) gesprochen werden.

WAS DAS FÜR JEDEN EINZELNEN BEDEUTET

Da keine eindeutigen Marktzahlen über die Aufteilung verfügbar sind, kann hier nur vermutet werden, dass perspektivisch der Großteil des Marktwachstums aus Beratung i.w.S. stammt. Für jeden einzelnen Berater bedeutet dies, dass nicht jeder „klassische“ Beratungsleistungen, also Beratung i.e.S., durchführen wird, sondern sich viele auch im Body Leasing-Bereich der Professional Services Firms wiederfinden werden.

Der eine Bereich ist nicht besser oder schlechter, als der andere – beide haben ihre Berechtigung, die sich durch die Nachfrage am Markt ausdrückt. Allerdings sollten sich gerade Berufseinsteiger und auch Young Professionals genau überlegen, in welchem Segment sie arbeiten wollen und keinen falschen Illusionen zum Opfer fallen.


 Zur Person

Prof. Dr. Thomas Deelmann forscht und lehrt an der FHöV NRW in Köln. Ein Arbeitsschwerpunkt ist das Management von wissensintensiven Dienstleistungsorganisationen, z.B. Unternehmensberatungen und öffentliche Verwaltungen. Vorher war er u.a. als Vice President verantwortlich für die Strategieentwicklung eines der weltweit größten ICT-Dienstleisters.

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