„Work-Life-Balance“ – Impulsbeitrag zu einer kritischen Diskussion

Beruflicher Erfolg und ein glückliches Privatleben – lässt sich dies in einer Woche mit nur sieben Tagen für einen Berater oder eine Beraterin überhaupt realisieren? In den vergangenen Jahren haben Medien Depressions- oder Burn-Out-Fälle zunehmend in den Fokus genommen und damit zur Enttabuisierung dieser Themen beigetragen. Prominente Beispiele aus der Wirtschaft oder dem Sport wurden diskutiert – der Tod des Bundesliga-Torwarts Robert Enke ist hier nachhaltig im Kopf geblieben. Der Tod des Praktikanten Moritz E., der bei der Investmentbank Merrill Lynch 24-Stunden-Schichten schob und vermutlich daran starb, ist darüber hinaus zu einem Mahnmal für ein exzessives, ungesundes Arbeitsverständnis geworden. Der Begriff „All-Nighter“ bezeichnet heute jene, die ihr Wochenarbeitszeitkonto gerne auf 90, 100 und mehr Stunden hochschrauben.

Umso wichtiger erscheint es, der Arbeit sinnstiftende und beglückende Freizeit gegenüberzustellen. Work-Life-Balance ist in diesem Zusammenhang das Konzept, bei dem davon ausgegangen wird, dass Berufsleben und Privatleben in einem – gefühlt – ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Aber lassen sich Eskalationsmeetings mit dem Kunden oder stressige Projektspitzen von jetzt auf gleich wegknipsen, wenn der Arbeitstag endet? In der Realität nehmen viele Berufstätige, auch Unternehmensberater, diese Themen mit in ihre Freizeit und schaffen dies nicht.

Aus den tausenden Gesprächen, die ich mit Unternehmensberatern geführt habe, lassen sich folgende Punkte mitnehmen:

  • Das Bild der hart arbeitenden Berater/innen, die signifikant mehr Wochenstunden tätig sind als der durchschnittliche Mitarbeiter auf Kundenseite, gehört zum etablierten Arbeitsethos innerhalb der Consulting-Industrie.
  • Leistungsmotivation ist für viele eine Grundvoraussetzung für das Geschäft.
  • Umso mehr fällt auf, dass vielen Beratern/innen das Treffen mit Familie, Freunden und Bekannten am Wochenende äußerst wichtig ist.
  • Viele lassen sich im Gespräch mit Vertrauten jenseits des Consultings „erden“.

Dass nicht immer die 90-Stunden-Woche von den Consultants geleistet wird, auch wenn dies gerne erzählt wird, zeigt eine lesenswerte Studie. Dies soll an dieser Stelle jedoch nur eine Randnotiz bleiben.

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Work-Life-Balance wird mit großer Sicherheit, medial verstärkt, in der Zukunft für eine immer größere Zahl an Berufstätigen eine zentrale Rolle in der Wahrnehmung des Arbeitsumfeldes spielen.

In Interviews mit Schülern der 11. bis 13. Klasse, die an der Aktion Chef für 1 Tag teilnahmen, wiesen mich viele der 17- und 18-Jährigen darauf hin, dass ihnen eine sehr gute Work-Life-Balance für die Wahl ihres zukünftigen Jobs sehr wichtig sei. Zwar wird nicht jeder dieser Schüler zukünftig als Unternehmensberater tätig sein. Diese Anekdote zeigt jedoch, dass bereits jüngste Generationen, die de facto noch nie gearbeitet haben, eine gute Balance aus Beruflichem und Privatem bei ihrer Berufswahl voraussetzen werden. Sie wurden durch die intensive Diskussion des Themas hinreichend gut munitioniert, um im zukünftigen Arbeitnehmermarkt anspruchsvoll auftreten zu können.

Wie ist in diesem Zusammenhang Ihre Perspektive auf dieses Thema:

  • Wann ist die Bilanz aus Arbeit und Freizeit für Sie persönlich ausgeglichen?
  • Nehmen Sie wahr, dass Unternehmensberater eine starke Präsenzpflicht haben, um den hohen Tagessatz oder Ihre zukünftige Beförderung zu rechtfertigen?
  • Mit Hilfe welcher Tätigkeiten oder Maßnahmen schaffen Sie es, abzuschalten?
  • Wie kann es funktionieren, kurze Timelines und hohes Arbeitspensum mit beglückendem Privatleben zu kombinieren?
  • Haben Sie selbst bereits Fälle von Burn-Out im Consulting beobachtet und was waren die Konsequenzen für die betreffende Person?
  • Ist das Thema Work-Life-Balance nur ein Hype, dem zu viel Beachtung beigemessen wird?

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Daniel+NerlichDaniel Nerlich bringt über zehn Jahre Erfahrung in der Unternehmensberatung mit. Der Fokus seiner Tätigkeiten lag dabei auf den Themen Führungskräfteauswahl, Human Resource Management sowie Change Management. Er ist seit 2011 bei einer der international führenden Gesellschaften im Executive Search, Board Consulting und Management Audit tätig. Seine Spezialisierung liegt auf der Vermittlung von Executives und Experten in den Bereichen Business & Professional Services, Industrie sowie Technology. Zu seinen Klienten zählen sowohl die Top-15 der Management- und Strategieberatungen, die Big-4 der Wirtschaftsprüfungs- und Advisory-Gesellschaften, Hidden Champions, Inhouse-Beratungen als auch internationale Konzerne, die Unternehmensberater für Führungspositionen gewinnen möchten.

One thought

  1. Zu Ihrem Fragenblock meine ungeschminkte Meinung:

    1. Wann ist die Bilanz.. – Wenn der Kunde „a day is a day“ abrechnet, also die Leistung über 8 Stunden gar nicht bezahlt wird. Freiwillig länger bleiben, besonders in der Einarbeitungszeit, kann man dann fallweise immer noch. Ich denke aber gar nicht daran, meinen Tagessatz als Flatrate einstufen zu lassen. Ab einer gewissen Seniorität ist das kein Problem.
    2. Präsenzpflicht: Nur die Berater aus den us-amerikanischen Häusern werden nach up or out ausgenutzt und selbst bei „a day is a day“ gezwungen, zehn Stunden und mehr zu leisten. Selber Schuld, wer dorthin strebt, es gibt Hunderte von Alternativen. Burnout selbst verschuldet, nun ja, intelligent ist was anderes.
    3. Abschalten: Online-gaming, einen Hund halten, nur mit der Partnerin etwas unternehmen, aber garantiert nichts mit Kollegen abends unternehmen, da die eh nur Schwanzvergleiche anstellen und mich außerdem deren Projekte null interessieren. Jegliche Beschallung auch nach Feierabend führt früher oder später zum information overflow, das hält über Jahre kein Hirn aus.
    4. Wenn man abends nach Hause kann, liegt es an einem selber, sich spannende Hobbys zu suchen und zu pflegen. In Projektwohnungen oder Hotels in fremden Städten allerdings ist dies ungleich schwieriger. Dafür bekommt man ja gutes Schmerzensgeld.
    5. Ja, ich habe Burnouts erlebt; diese Personen, auch welche mit hoher Resilienz (oder gerade die?) sind mind. ein halbes Jahr außer Gefecht. Andere sind klüger und wechseln vorher auf die Kundenseite – und haben dort ihre 38-Stunden-Woche bei bester Bezahlung! Nur so nebenbei…
    6. Ich glaube Adenauer sagte mal, dass man mit den vorhandenen Menschen auskommen muss – es gibt keine anderen. Also wünsche ich den Arbeitgebern in Zukunft viel Spaß mit Generation Y und danach – die lassen sich zum Glück nicht mehr beliebig knechten, eine gesunde Entwicklung. Die aktuelle EU-Krise zeigt es doch: Banken wurden gerettet, Menschen nicht. Wir haben noch einen langen Weg vor uns…

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